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Nonett – Getanzter Essay über das Leben

Nonett – Getanzter Essay über das Leben

© Charles Tandy

Prolog zum ersten Blog-Text "Nonett - Getanzter Essay über das Leben"

Schon lange trage ich mich mit der Idee, regelmäßig Texte zu veröffentlichen über Momente des Lebens, die es mir wert erscheinen, durch Worte in ein besonderes Licht gerückt zu werden und diesen Momenten so eine noch größere Gewichtung zu geben.

 

Jetzt kam endlich der letzte Anstoß zur Umsetzung dieses Vorhabens:

 

Die neue Kreation der renommierten kanadischen Choreographin Aszure Barton mit „meinen“ jungen Tänzern des Bayerischen Junior Ballett München (ehemals Staatsballett II) hat mich verzaubert. Bei der Bosl-Matinee am 6. Mai 2018 auf der Bühne des Bayerischen Nationaltheaters.

 

Und der Zauber wirkt so stark, dass ich mein Vorhaben endlich umsetze.

 

Ich hoffe, das Besondere in Worten einfangen zu können und ermutige ansonsten dazu, sich selbst verzaubern zu lassen von Aszure Bartons „Nonett“ und dem Bayerischen Junior Ballett München.

 

Nächster Vorstellungstermin:

24. Juni 2018 im Theater am Ring, Villingen-Schwenningen. Informationen hier.

Weitere Termine von „Nonett“ für die Spielzeit 2018/19 werde ich hier bekannt geben.

 

Nonett – Getanzter Essay über das Leben

© Charles Tandy
© Charles Tandy

Ich liebe Kunst und Kultur. Ganz besonders Tanz. Kunst in all seinen Formen ist für mich die Seele unserer Gesellschaft und ich bin der Meinung, dass wir Menschen brauchen, die sich vollkommen um die Seele und um das geistige Sein unserer Gesellschaft kümmern. Sich hin-geben.

 

Ich bin oft im Theater und sehe viel Kunst auf der Bühne. Trotzdem geschieht es selten, dass ich das erfahre, was ich bei „Nonett“ im Bayerischen Nationaltheater bei der Bosl-Matinee erlebt habe: Ein Gefühl des tiefen Verstandenseins in meinem Mensch-Sein. Mein Mensch-Sein ausgebreitet und gespiegelt in einer Choreographie. Eine Energie, die mich als Zuschauer von der Bühne her umschließt. Magie. Transzendenz.

 

Es war mir, als hätte die kanadische Choreographin Aszure Barton ein Zauberpulver über die neun Tänzer auf der Bühne und uns im Zuschauerraum gepustet. Sie hat uns alle verzaubert und daran erinnert, dass Tanz – und somit das Leben an sich – nicht immer Handlung und Dramatik braucht, sondern dass das Leben mit seinen immerwährenden Veränderungen eine Magie entfalten kann, der wir uns nicht entziehen können und die uns alle miteinander verbindet.

 

In „Nonett“ geht es – wie schon der Titel klar und einfach ausdrückt – um neun Tänzer und ihr Sein. Ihr Sein als Individuum und in der Gruppe. Die Kreation folgt keiner Handlung, sondern ist vielmehr Ausdruck unserer bewegten menschlichen Existenz. So basiert auch die Musik „Music for Heart and Breath“ (Musik für Herz und Atem) von Reed Parry auf dem menschlichen Herzschlag. Die Musiker trugen bei der Aufnahme Stethoskope und der Rhythmus ihrer Herzen bestimmt den Rhythmus der Musik. Dabei gibt manchmal der Rhythmus eines einzelnen Musikers den Takt des gesamten Stückes vor, manchmal entsteht eine heterogene Klangwolke aus den verschiedenen Herzrhythmen der einzelnen Musiker.

 

Die neun jungen Tänzer haben diese Rhythmen verinnerlicht, atmen und bewegen sich darin. Manchmal scheinen sie den Herz-Rhythmus vorzugeben, manchmal folgen sie dem Herzschlag der Musik. Die Choreographie ist sehr organisch, alles fließt und wandelt sich – mal im Gleichklang, mal auf eigenen Bahnen doch immer miteinander verbunden. Keinerlei Stillstand. Manchmal treten Individuen hervor, dann wieder tauchen sie in der Gruppe unter. Kleine Ensembles, Pas de Deux, Soli und Gruppen-Choreographien fließen organisch ineinander. Mal ziehen sich die Tänzer wie Moleküle an, mal werden sie scheinbar nach draußen gezogen. Keinerlei Wertung oder Dramatik in den Bewegungen – schlicht und einfach die Bewegung des Seins.

 

Die jungen Tänzer sind mit sich, mit dem eigenen Herzschlag und miteinander tief verbunden. Sie scheinen kaum für ein Publikum zu tanzen. Aber sie lassen uns teilhaben, ja beziehen uns sogar ein, in ihren Herzschlag, in ihren Atem und lassen uns so für die Dauer des Stückes ahnen, dass es so etwas wie einen Lebensatem gibt, der uns alle verbindet.

 

Jedes der neun Kostüme von Susanne Stehle ist unterschiedlich und individuell – gemeinsam ist allen die Leichtigkeit. Unprätentiös. Fast alle pastellfarben. Sie drücken wunderbar die Grundidee von „Nonett" aus: Obwohl wir Individuen sind, so verbindet uns doch das Menschsein. Ein Lebensatem.

 

In meiner Vorstellung sehe ich eine Art weiße Glocke, die über den Tänzern schwebt. Sie ist natürlich weder physisch da noch wirklich sichtbar, trotzdem sehe ich sie. Eine weiße Glocke, eigentlich eine Kugel, deren untere Hälfte durch die Unterbühne geht und deren obere Hälfte schützend die Tänzer umhüllt. Die Tänzer sind die aufgebrochenen Farben, Emotionen, Dynamiken dieser weißen Kugel, die Teile eines Ganzen.

 

Auch wenn Nonett – wie der Titel schon ausdrückt – ein Ensemble-Stück ist, so bleibt dennoch am Ende eine einzelne Tänzerin auf der Bühne. Ihr Atem, ihre Bewegung scheint mit dem abgehenden Tänzer mitzufließen. Fast sehnsuchtsvoll, aber das wäre schon wertend und widerspricht so dem Stück. Sie bleibt einfach und wir wissen: Die Bewegung wird weiter fließen. Immer weiter. Auch in uns.

 

Ich bin dankbar. Dafür, dass Kunst so berührend unser Mensch-Sein spiegeln und ausdrücken kann. Und Frieden schenkt.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Ernst Lipps (Donnerstag, 17 Januar 2019 04:46)

    "ich schreibe...", war ihre Antwort auf meine banale Frage; " ... für mich.", glaube ich mich noch erinnern zu können, dass sie das erklärend und präzisierend, was ihre Mitivation zum Schreiben sei, ergänzend hinzufügte. "Ich mache das auch so."

    Aus welchen Motiven handeln Menschen?

    Die Psychologie, die Wissenschaft vom und über das Verhalten von Menschen - und nicht nur die -, versucht Antworten zu geben. Aber eine Wissenschaft kommt vom Verstand, auch wenn sie Emotionen zu erklären hat. Sie spricht nicht vom Zauber des Augenblicks, das wäre ihr zu unwissenschaftlich, zu gefühlvoll, zu subjektiv, zu peinlich und zu persönlich. Quasi außerhalb ihres Definitionsbereichs.

    Schreiben ist eine Tätigkeit, die man machen muss, um die subjektiven Bedeutungen des Menschlichen wie auf einer Bühne des Seins und des Lebens be- und auszuleuchten; Schreiben benutzt Worte wie Licht, das das Dunkle erhellt, die Schatten beschreibt, das Unsagbare und Ungesagte.

    Das wollte er ihr noch sagen, schon lange, nachdem sie gegangen war. Durch Worte etwas in ein besonderes Licht zu rücken und dem Moment eine noch größere Bedeutung geben, das ist das individuelle Motiv der Person, die sich entschließt, etwas zu schreiben.

    Während sein Motiv einem anderen Ziel galt: die andere Seite des Geschriebenen zu belichten - die Leserin-, die Protagonistin jedes Schreibenden, die Beobachterin der Handlung auf der Bühne des Lebens durch die Augen der Schreibenden.

    Und so werden Motive, Handlungen und Emotionen zu Bildern.

    Schreiben Sie ..., um Bedeutungen zu schaffen, die irgendwann, irgendwo, gelesen werden. Dann hat das Motiv seinen Sinn gefunden und seine Erfüllung erlangt. Wer schreibt gibt; wer liest nimmt es zu sich. Beides gehört zusammen, um dem banalen Leben einen anderen Sinn zu geben, eine andere Sichtweise, eine Projektion.