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Türen auf der Bühne – Versteck-Spiel einer Inspizientin

Türen auf der Bühne – Versteck-Spiel einer Inspizientin

Prolog zu "Türen auf der Bühne"

 

Warum schreibe ich diesen neuen Blog-Text ausgerechnet über Türen?

 

Dieses Mal hat mich nicht ein Stück auf der Bühne zum Schreiben inspiriert, sondern meine Erlebnisse als Inspizientin hinter der Bühne. Es geht im Besonderen um die Erfahrungen als Inspizientin der Rossini-Oper „Semiramide“ (Inszenierung David Alden, Bühnenbild Paul Steinberg) an der Bayerischen Staatsoper.

 

Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich – obwohl ich selbst schon eine Rossini-Oper inszeniert habe – Semiramide nicht wirklich mag. Vier Stunden kaum enden-wollende Melodiefäden, durchbrochen von schnellen Rezitativen mit viel Aktion hinter der Bühne. Und ich mag das Bühnenbild in der Alden-Inszenierung nicht besonders: Nicht nur aufgrund der vielen Türen und fahrbaren Wände und der damit verbundenen Komplexität, sondern schlicht und einfach auch aus ästhetischen Gründen.

 

Dennoch: Wer die Musik von Rossini liebt oder Interesse an der sensiblen Schwelle zwischen Bühne und dem Geschehen hinter Bühne hat, dem sei ein Besuch der Oper „Semiramide“ ans Herz gelegt.

 

Letzter Vorstellungstermin an der Bayerischen Staatsoper:

10. Juni 2018 um 17 Uhr.

Weitere Informationen hier.

Türen auf der Bühne – Versteck-Spiel einer Inspizientin

© Wilfried Hösl
© Wilfried Hösl

Türen auf der Bühne sind eigentlich etwas Wunderbares. Türen stehen für Ankunft und Neubeginn, Abschied, Ende und sogar Tod. Türen sind Schwellen in andere Welten, andere Räume und hinter Türen können Geheimnisse verborgen sein. Türen sind auch Grenzen zu Verbotenem und Unbekannten. Türen auf der Bühne sind zutiefst symbolisch. Im besten Falle.

 

Türen auf der Bühne sind natürlich schlicht und einfach auch eine Möglichkeit, die Bühne überhaupt zu betreten. Ein Eintrittstor in die Welt der Kunst.

 

Türen können wunderschöne poetische Bilder entstehen lassen: Wenn zum Beispiel – mit einem Scheinwerfer als Gegenlicht – zunächst eine Silhouette die Bühne betritt, die erst nach und nach als Person erkennbar wird. Oder wenn Türen in unterschiedlichen Größen von einer sich verändernden Wahrnehmung der Außen- und Innenwelt erzählen, wie zum Beispiel bei der Neu-Inszenierung der „Hochzeit des Figaro“ von Christof Loy an der Bayerischen Staatsoper. (Ein Besuch dieser Oper ist sehr zu empfehlen für alle, die sich darüber hinaus für Türen auf der Bühne interessieren.)

 

© Charles Tandy

In meinem Leben haben Türen dennoch keine besondere Rolle gespielt. Bis jetzt. Denn die Oper „Semiramide“ (Inszenierung David Alden, Bühnenbild Paul Steinberg) an der Bayerischen Staatsoper hat mein Verhältnis zu Türen auf der Bühne nachhaltig verändert. Hier bin ich als Inspizientin auf der linken Seite hinter den Türen verantwortlich für alle Auftritte und technischen Verwandlungen. Konkret heißt das bei Semiramide: Wände mit vielen Türen fahren und verändern ihre Position, während ich zum Teil parallel Sänger durch diese fahrenden Türen auf die Bühne schicke.

 

Dabei habe ich lernen dürfen, dass Türen sehr vielfältig sind: Türen können nämlich beispielsweise nach innen und außen schwingen und selbständig schließen. Das sind – für mich als Inspizientin hinter der Bühne – die unkomplizierten Türen. Es gibt aber auch Türen, die nur nach innen öffnen. Oder nur nach außen. Es gibt Türen mit Griffen und es gibt Türen ohne Griffe. Türen ohne Griffe werden oft magnetisch geschlossen, manchmal auch magnetisch offen gehalten.

 

Die kompliziertesten Türen auf der Bühne sind die – von den Regisseuren so geliebten - „magischen“ Türen. Die „magischen“ Türen öffnen sich nämlich wie von Zauberhand von alleine im „magischen“ Tempo. Als Inspizientin sorge ich dafür, dass ein Kollege der Technik oder der Statisterie die Türen auf Ansage öffnet und schließt. Meist beide Flügel, in bestimmten Momenten aber auch nur einen Flügel.

 

Noch komplizierter wird es, wenn - wie bei Semiramide – nicht nur sehr viele komplizierte magische Türen ohne Griffe das Bühnenbild bestimmen, sondern wenn dazu noch die Wände beweglich sind und zu immer neuen Räumen geschoben werden. An sich eine schöne Idee. In der Praxis sind aber leider die Magnete nicht stark genug, um die Türen während der Wandfahrten geschlossen zu halten. Deshalb müssen wir hinter der Bühne bei Wandfahrten zusätzlich die Türen verriegeln. Zumindest, wenn keine Auf- oder Abtritte stattfinden.

 

Im einfachsten Falle fahren die Wände geschlossen und verriegelt auf ihre neue Position. Im komplizierten Falle – wie bei der geliebten Semiramide – kommt manchmal alles zusammen: eine Wandfahrt, bei der bestimmte Türen verriegelt sein müssen, da sie sonst von alleine - wie verhext - aufgehen. Andere wiederum dürfen unter keinen Umständen verriegelt sein, denn gleichzeitig mit der Wandfahrt verlässt der Chor durch diese Türen rennend die Bühne. Die Wand fährt mit den abgehenden Chor-Sängern nach außen und gleichzeitig müssen die Tänzer zur ihrer Musik auftreten. Die Statisten folgen mit Stuhl und Kostüm. Eine Solistin hat sich vertan und ist aus Versehen gegen eine verriegelte Tür gelaufen, bis sie die unverriegelte Türe doch noch entdeckt hat.

 

Sobald diese turbulenten Auf- und Abtritte überstanden sind, sollten die Türen magisch zugehen – denn wer will dieses Chaos auf der Hinterbühne sehen? Doch wer schließt nur diese verflixten magischen Türen? Die eingeteilten Statisten haben ihren Einsatz vergessen, die gesamte Technik-Mannschaft ist noch mit der Fixierung der neuen Positionen beschäftigt, zwei Kollegen stellen Sichtwände, die eigentlich verhindern sollen, dass man uns hinter der Bühne sieht – leider zu spät. Schade, dass die Türen in dem Moment ausgerechnet frontal zum Publikum ausgerichtet sind – da hilft auch die schwarze Kleidung nicht mehr: „Hallo, Publikum!“ – ich bin mal wieder zu sehen. Die Kollegen der Technik haben Mitleid: Sie helfen mir, die Türen zu schließen.

 

Am Ende des Abends bin ich viel gelaufen und habe mehrmals das Publikum gesehen. Ob die Zuschauer uns wohl auch gesehen haben? Stört sie das? Sind sie tatsächlich so gebannt vom Bühnengeschehen oder denken sie über all das nach, was wir hinter den fahrbaren Wänden laufen, organisieren und fluchen?

 

Ich jedenfalls habe nun eine klare Meinung zu Türen auf der Bühne. Wenn Türen nicht wirklich eine Bedeutung für das Stück haben, sondern nur aus praktischen Gründen im Bühnenbild existieren, mag ich Türen definitiv nicht mehr. Aber ich habe mich in Türen auf der Bühne verliebt, die eine symbolische Funktion haben: Wenn sie etwas erzählen über das Leben. Über das Loslassen, über Räume als etwas Privates, über Schwellen im Leben, in einer Geschichte, in einer Bühnenhandlung.

 

Vielleicht würde ich sie auch lieben, wenn sie ganz bewusst erzählen, dass es hinter dem Schein der Bühnenhandlung noch eine Welt jenseits der Illusion gibt, in der wir hinter der Bühne eifrig bemüht sind, den Schein auf der Bühne zu wahren. Vielleicht wie im „echten“ Leben? Wie oft finden auch hier die unterschiedlichsten Erzählstränge parallel statt, während wir uns um die eine kohärente Erzählung unserer selbst bemühen?

 

Für mich sind Türen nicht nur ein poetisches Element, sondern auch eine Eintrittsschwelle von der Welt hinter der Bühne in die Welt auf der Bühne – von der einen Welt in die andere, von der einen Erzählung in die andere, von der Dunkelheit ins Licht. Es gibt sie – die andere Welt. Auch auf der Bühne. Und diese Schwellen sind wunderbare Orte.

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Kommentare: 1
  • #1

    Monika (Sonntag, 10 Juni 2018 20:44)

    Liebe Deike ich bin gebannt von so vielen Türen und deren Vielseitigkeit :-)
    Wunderbar wie du über Türen philosophierst
    und gleichzeitig einen Einblick hinter die Kulissen gestattest.
    Danke das ich an deiner Kunst teilhaben darf , das berührt mich sehr.
    Namaste � liebe Deike