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Schattenarbeiter

Schattenarbeiter

Hinter den Kulissen.

Im Schatten.

Menschen.

Die für und gegen die Kunst leben.

Sehnsucht nach dem Licht?

 

Auf der Bühne.

Strahlen.

Die Künstler im Scheinwerferlicht.

Offenbaren ihr Inneres.

Sehnsucht nach Schatten?

 

Es sind die Menschen im Theater, die mich berühren. Das sind nicht nur die Darsteller auf der Bühne, sondern vor allem auch jene Menschen, die voller Leidenschaft und Verletzlichkeit im Verborgenen arbeiten. Es sind die Bühnenarbeiter und Techniker im Theater des Lebens. Häufig sind sie leidenschaftliche Zuhörer – sehen oft nicht einmal das Geschehen auf der Bühne. Die Schattenarbeiter reden meist nicht von sich aus über ihre Eindrücke – doch wenn man sie fragt, öffnen sie einen Spalt zu ihrer Welt und gewähren einen Einblick in die Tiefe ihrer Herzen. Sie haben eine eigene Meinung zu dem, was sie erleben. Sie haben viele Künstler kommen und gehen sehen.

 

Im Theater gibt es innerhalb der einen Welt die unterschiedlichsten Welten. Wie eine Matrjoschka, nur, dass diese Welten manchmal nicht so reibungslos ineinander passen wie die russischen Puppen. Es sind die Welten der Technik, der Kommunikation, der Verwaltung, der Kunst und viele mehr. Die inhaltlich-thematischen Welten. Doch es gibt auch zeitlich versetzte Welten. So sind da Welten, die sich um die Erschaffung einer neuen Welt kümmern, welche ab der Premiere den Zuschauern zugänglich ist: Während einer Neu-Produktion entstehen hinter den Kulissen Kostüme, Requisiten und – je nach Budget des Hauses – mehr oder weniger – aufwendige technische Konstruktionen. Es wird wochenlang geprobt. Und es gibt Welten, die sich um die Re-Produktion dieser erschaffenen Welten bemühen. Das sind all jene, die für die allabendlichen Vorstellungen zuständig sind. Hier treffen Künstler und Techniker, Garderobieren, Maskenbildner, Zuschauer und viele weitere Welten aufeinander. Dabei überschneiden sich immer wieder alle Welten. Das Theater – ein Kosmos.

 

Eine dieser Welten, die ich entdeckt und ganz langsam manchmal lieben gelernt habe, ist die Welt der Bühnenarbeiter. Ich möchte sie Schattenarbeiter nennen, denn sie sorgen im Verborgenen für die Sicherheit aller Beteiligten, schieben die Kulissen auf Position– sei es mit kleinen Fahrzeugen oder mit all ihrer – meist – Mannes-Kraft. Sie fahren hydraulische Systeme der Unterbühne oder bewegen die Züge auf der Galerie – per Hand oder per Pult. Sie hängen während des Stückes oder in der Pause Bühnenteile ein oder aus, stellen Möbel hin und räumen sie wieder weg, verriegeln Wände oder bewegen große Bühnenelemente. Die Schattenarbeiter erscheinen auf Einruf aus ihren Höhlen zu den Umbauten und Verwandlungen und verschwinden dann häufig gleich wieder im Aufenthaltsraum. Manche sind voller Eifer, voller Liebe für die Kunst, der sie allabendlich im Verborgenen dienen. Anderen wiederum sieht man den Frust über ihr Schattenleben an, den sie öfter mal im Alkohol ertränken oder im Zigarettendunst versuchen wegzupusten. Ich habe eine große Schwäche für diese Menschen, sie berühren mich zutiefst mit ihrer offenen oder verborgenen Leidenschaft für unseren Theater-Kosmos.

 

Nirgendwo deutlicher als im Theater gibt es diese zwei widersprüchlichen und sich zugleich ergänzenden Pole: Die Welt im Licht und die Welt im Verborgenen. Genaugenommen sind es sogar zwei verborgene Welten, welche die Bühne – die Welt im Licht – umarmen. Die eine der beiden Schattenwelten ist der Zuschauerraum: Das Publikum wird mitsamt seiner Sorgen und Träume in absoluter Dunkelheit weggeblendet. Und hinter der Lichtwelt – der Bühne – eröffnet sich eine weitere verborgene Welt. Die Welt der Schattenarbeiter. Die „Kollegen der Technik“ – sei es der Beleuchtung, vom Ton oder Video, die Kollegen der Deko, Ausstattung, Requisite und auch die Damen und Herren der Garderobe oder Maske. All diese Menschen, die tagein und tagaus im Dunklen arbeiten. Sie bauen Bühnenelemente zusammen, wischen den Boden, öffnen den Vorhang, verschieben Kulissen in die richtige Position, bedienen digitale Pulte oder Handzüge, sie kümmern sich um die Garderobe und um die Darsteller. Häufig bleibt ihre Arbeit ungesehen – solange kein Fehler passiert. Häufig scheint auch der Mensch dahinter austauschbar zu sein – ganz im Gegensatz zu den Künstlern, deren Persönlichkeit so ausschlaggebend für das Ergebnis ist. Das Gefälle ist enorm. Dabei streben auch die Schattenarbeiter nach Perfektion. Bei ihnen geht es um Präzision und sehr häufig auch um Sicherheit, um den genauen zeitlichen Einsatz und um die korrekte räumliche Anordnung. Und das im Dunklen. Auch sie tragen einen ganz entscheidenden Beitrag zur Verwandlung der Welt bei – in eine Welt der Magie.

 

Ich habe schon so manches Mal erlebt, wie ein Kollege vom Beleuchtungs-Stellwerk nervöser war als ein Sänger. Weil er seine Aufgabe perfekt erfüllen wollte. Oder ein Kulissenschieber frustriert war, wenn er seine Stellwand zu spät in der korrekten Position stehen hatte. Hinter so mancher Nörgelei liegt häufig ganz schlicht der große Wunsch, den eigenen Teil im Zusammenspiel des Theaters möglichst perfekt auszuführen. Und wie groß ist die Freude unter den Schattenarbeitern, wenn ihnen allen das Zusammenspiel gelungen ist. Wenn sowohl sie als auch die Lichtarbeiter – die Darsteller auf der Bühne – erfolgreich waren. Dann wissen sie, dass der Applaus des Publikums auch ihr Applaus ist. Gemeinsam haben all die unterschiedlichsten Welten einen einzigartigen Abend erschaffen. Für einen flüchtigen Augenblick. So manches Mal hat es mich schon berührt zu sehen, wie dankbar die Schattenarbeiter für die Anerkennung ihrer Leistung waren. Für ein ehrliches „Dankeschön“ eines Theaterdirektors zum Beispiel. Vielleicht sind das die kleinen Momente, aus denen sie aus ihrem Schatten heraustreten.

 

Was bleibt nun von diesen Gedanken über die Schattenarbeiter, die im Dunklen arbeiten? Das Theater – ein Kosmos aus Licht und Schatten. Vielleicht nirgendwo sonst ist diese Trennung und zugleich Verbundenheit innerhalb eines einzigen Kosmos so offensichtlich wie auf der Bühne. Jene, die auf der Bühne strahlen und jene, die im Schatten alles ermöglichen. Unbemerkt von den Zuschauern, die nicht ihrer Illusion einer einzigen Welt nicht beraubt werden sollen. Doch wie wäre es, wenn man das Erschaffen der Welten umfassender sehen würde? Wenn der Kosmos zu erahnen wäre? Wie eine Art Kreis, der sich aus dem Dunklen ins Helle und weiter in den Zuschauerraum spannen würde. Eine große Welt in ständiger Bewegung, voller Unterschiede, voller Licht und Schatten. Oder wenn es eine Art Faden gäbe, der sich zwischen all den Menschen entspannt, verdichtet und verbindet. Wie wäre es, wenn wir das Entstehen der magischen Welt im Theater mehr als ein Zusammenspiel aus Licht und Schatten begreifen würden? Vielleicht wäre es eine Bereicherung des Erlebens, wenn wir die Fäden zwischen Licht und Schatten, Bühne und Hinterbühne erahnen könnten.  Das Theater – eine Raffung unseres Lebens. Jeder einzelne Mensch hat auf der Bühne seines Lebens die eigenen Schattenarbeiter, die hinter dem Licht-Darsteller im Verborgenen arbeiten. Und häufig sind sie voller Leben, Leidenschaft für das, was im Licht geschieht. Sie schieben uns die Kulissen zurecht, sorgen für das rechte Licht und stehen mit einem trockenen Handtuch nach dem Auftritt bereit. Vielleicht wäre es spannend, wenn wir manchmal auch unsere eigenen Schattenarbeiter wahrnehmen würden. Denn vielleicht sind gerade sie es, die uns ein Leben in Licht und Glanz ermöglichen.

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Kommentare: 14
  • #1

    Raphael Kurig (Mittwoch, 20 November 2019 01:23)

    Danke für diesen tollen, würdigenden Text über uns Schattenarbeiter! �

  • #2

    Ann-Katrin (Donnerstag, 21 November 2019 10:06)

    Wunderbar. Vielen Dank, liebe Deike!

  • #3

    Ernst Lipps (Freitag, 22 November 2019 09:00)

    Präzise Beobachtung und geschliffene Wortwahl.
    Hier schreibt Eine, die von sich selbst sagte: "Ich arbeite hinter der Bühne".
    Es gibt nur eine Bühne: das Leben, und wir alle sind nur Statisten die ihre Rollen spielen.
    Das Leben ist die Bühne. Es gibt kein dahinter oder davor.
    Danke, Deike Wilhelm!

  • #4

    Steffen (Freitag, 22 November 2019 09:37)

    D A N K E

    Steffen, Lichttechniker

  • #5

    Mandy (Samstag, 23 November 2019 10:17)

    Besser kann man es nicht beschreiben unser Leben hinter der Bühne.

    Vielen Dank dafür!!!

    Ich liebe es Schattenarbeiter zu sein!

  • #6

    Detlef Flähmig (Samstag, 23 November 2019 13:32)

    In einer Zeit wie die heutige ist dieser Artikel mehr als Balsam für die wie Ihr sie nennt „Schattenarbeiter“. Ich komme noch aus einer Zeit in der Theater ein Gesamtkunstwerk aus der Arbeit und Fähigkeit aller Mitarbeiter war. Leider gehört das heute der Vergangenheit an! Dafür ein herzliches Dankeschön für diese klugen Worte!

  • #7

    Jürgen (Sonntag, 24 November 2019 04:45)

    ....Anderen wiederum sieht man den Frust über ihr Schattenleben an, den sie öfter mal im Alkohol ertränken oder im Zigarettendunst versuchen wegzupusten.....
    Ist das nicht ein bisschen zu viel Klischee und gibt es das nicht in jedem Beruf, zum Beispiel auch bei den schauspielern?

  • #8

    Jürgen Leiendecker (Sonntag, 24 November 2019 09:12)

    Vielen Dank !!!
    für diesen sehr kenntnisreicher und einfühlsamen Text über das Leben im Theater. Gehöre selbst seit Jahrzehnten zum Schattenteam und versuche diese 'Welt' in fotografierten Bildern festzuhalten. Meine Langzeitserie heißt KulissenBlick - ist leicht zu googeln-und versucht Aspekte des Verborgenen ins Licht zu rücken.

  • #9

    Solist (Sonntag, 24 November 2019 17:25)

     Häufig scheint auch der Mensch dahinter austauschbar zu sein – ganz im Gegensatz zu den Künstlern, deren Persönlichkeit so ausschlaggebend für das Ergebnis ist. -Kleiner Widerspruch: Auch die Künstler sind heute austauschbare Sing, Spiel und Tanzpersonal und Leben oft von Jahr zu Jahr in "Festverträgen" oder ganz als freiberufliche Gastkünstler, immer in Gefahr, ausgetauscht zu werden, während die Schattenarbeiter oft abgesichert und kommunal angestellt sind. Dazu kommt, dass auch die Künstler im Licht sehr viel Zeit im Schatten und oft einsam im Rollen und Notenstudium verbringen müssen, um dann vergleichsweise kurz im Licht zu stehen.
    Wichtig sind alle, vom Pförtner bis zur Diva. Ohne das Hinterland kann kein Stern glänzen und der glänzende Stern lässt das ganze Haus strahlen, bis in den Aufenthaltraum

  • #10

    Techniker (Dienstag, 26 November 2019 00:33)

    ... vive la difference :
    ich bin kein Schatten - ,
    sondern Facharbeiter !
    Die Schieber gibt es schon lange nicht mehr , dafür ist die heutige Theateftechnik zu komplex geworden .

  • #11

    Marina (Mittwoch, 27 November 2019 13:40)

    DANKE!

  • #12

    Candy (Freitag, 29 November 2019)

    Ja, genau so!

    Nicht zu vergessen sind jene, welche dies oftmals Wochen gar Monate lang in Bussen durchs Land ziehen lässt jeden Tag ein anderer Club, eine andere Arena, ein anderes Stadion. Jeden Tag eine andere Situation und doch das selbe Setup unter anderen Gegebenheiten.
    Das Theater, das Touring, die Veranstaltungstechnik.
    Eine Welt bestehend aus Charakteren welche nie oberflächlich sein kann da sie auf Vertrauen basiert. Auf einander verlassen können und wollen.

  • #13

    Penny, Garderobe (Freitag, 29 November 2019)

    "Wichtig sind alle, vom Pförtner bis zur Diva. Ohne das Hinterland kann kein Stern glänzen und der glänzende Stern lässt das ganze Haus strahlen, bis in den Aufenthaltraum.,,
    Schön formuliert Herr Solist.
    Vielen Dank für diesen einfühlsamen Artikel.

  • #14

    Kasparek Kreszenzia (Freitag, 29 November 2019 20:15)

    Ich habe mich schon immer gefragt, warum die Schattenarbeiter sich so selten vor dem Vorhang beim Schlussapplaus zeigen. Hab ich nur ab und zu in Bayreuth im Festspielhaus erlebt.Der Applaus vom Publikum war jedes Mal enorm. Aber i9ch glaube, wer sich echt mit Theater auseinandersetzt weiß was die Schattenarbeiter leisten. Mir haben die verschiedenen Podcast von den Bayreuther Festspielen, sowie die Arbeitszeiten Respekt abgerungen. Großen dank und tiefe Verneigung vor den Schattenarbeitern.